"Ich wollte immer so gerne singen, aber..."

 

Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.
J. v. Eichendorf

Liebe Freundinnen und Freunde der Stimme,

in der letzten Zeit haben sich bei mir mehrere wundervolle und mutige Menschen mit Herzklopfen zu einer ersten Gesangsstunde vorgestellt - alle hatten eine Gemeinsamkeit, die mir öfter begegnet und über die ich hier einmal schreiben möchte: Sie hatten eine persönliche Geschichte der Entmutigung und den Wunsch, das natürliche Singen in ihr Leben zu integrieren.

Irgendjemand hatte unseren HeldInnen einmal erzählt, sie könnten einfach nicht singen, sie wären unmusikalisch, hätten keine Stimme… Und weil sie damals noch klein waren, haben sie es geglaubt. Kommt Ihnen/euch das bekannt vor? Meistens beginnt die Geschichte im Grundschulalter. Ihnen wurde also beigebracht: Alles kann man lernen, aber singen kann man oder eben nicht! Es scheint in manchen Kreisen selbstverständliche Überzeugungen solcher oder ähnlicher Art zu geben.

Wenn man genauer hinsieht, lässt sich feststellen, dass Singen schon immer zum Leben dazu gehörte. Singen im Alltag diente der Gestaltung des Lebens, ob aus Freude oder klagend, Geburtstag, Beerdigung, Sommeranfang, Schneefall, zum Tanzen, zum Schlafen, etc. für alles gibt es Lieder. Auch die Arbeit wurde durch Rhythmen von Liedern unterstützt. Es gibt Lieder für die Feldarbeit, die Seefahrt, zum Wäschewaschen, etc.

In vielen Regionen der Welt ist Singen solcher Art immer noch ein Teil des alltäglichen Lebens, anders als im deutschsprachigen Raum. Oder haben Sie/ihr schon mal erlebt, dass bei einem öffentlichen Anlass oder in Ihrer/eurer Firma vor einer Rede gemeinsam ein Sommerlied gesungen wurde?

Ein Grund des Zurückgehens von natürlichem Singen liegt in unsere Geschichte. Das NS-Regime hat mit sich gebracht, dass bestehende deutsche Volkslieder missbraucht wurden. Deswegen entschieden anschließend einige Generationen von Lehrern, Pädagogen aus nachvollziehbarem Grund, nicht nur das geschundene Liedgut, sondern die Energie des gemeinsamen Singens lieber ganz zu streichen. Von da an wurde Musik in der Schule hauptsächlich analysiert, statt ausgeübt. Die schulischen Bildungsschwerpunkte haben diesen Zustand außer an spezialisierten Schulen beibehalten.

Würde ein Meeting anders ablaufen, wenn zunächst gemeinsam gesungen würde? Ich würde behaupten ja. Aufeinander hören, entspannenden Sauerstoff im Blut und gut verknüpfte Gehirnhälften, die Intellekt und Emotion angemessen zusammen arbeiten lassen, beeinflussen das Arbeitsklima.

 

Umso mehr freue ich mich, dass der leise beharrliche Wunsch meiner Held/innen zur eigenen Ganzheit gesiegt hat. Es ist wunderbar, den Widrigkeiten zu trotzen und den Fluss von ursprünglicher Lebendigkeit zu erleben. Singen wir doch heute einfach mal ein Sommerlied, das wir kennen.

Ich wünsche Ihnen/euch allen noch einen schönen Sommer
Mit herzlichen Grüßen
Nicola Westphal

Kommentar schreiben

Kommentare: 0